01.06.2019

Zum Tag der Organspende

Marlies Rembold lebt seit 25 Jahren mit Spenderherz und -lunge. Hier erzählt sie ihre bewegende Geschichte

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Ich bin 1950 geboren und in Rudersberg nordöstlich von Stuttgart aufgewachsen, wo ich heute noch lebe.  Meine Krankengeschichte begann, als ich 40 Jahre alt war. Meine beiden Töchter waren bereits aus dem Haus, glücklicherweise, muss man heute sagen. Ich wollte damals wieder voll einsteigen ins Berufsleben. Ich war Sekretärin bei einem Sicherheitsunternehmen, mein Chef hatte sich selbstständig gemacht und mich mitgenommen.  Aber dann bin ich gegen Ende des Jahres 1990 krank geworden: das Treppensteigen fiel mir plötzlich schwer, ich litt unter Atemnot und Ödemen in den Beinen. Es wurde eine „pulmonale Hypertonie“ diagnostiziert, also eine starke Erhöhung des Blutdrucks im Lungenkreislauf. Von einer Transplantation wurde damals nicht gesprochen. Es hieß nur, Ich habe wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben.  Ein Jahr lang habe ich noch gearbeitet, dann konnte ich nicht mehr. Mein Zustand verschlechterte sich in den kommenden Jahren rapide weiter. Ich brauchte nun ständig Sauerstoff und konnte mich kaum noch bewegen.

Auf Vermittlung des damaligen Stuttgarter Chefarztes, Prof. Anton Both, wurde ich nach Berlin gebracht, und dort von Professor Hetzer untersucht. Er erklärte sich einverstanden, den Eingriff vorzunehmen. Und auch ich entschied mich für das Deutsche Herzzentrum Berlin. Ich war zu dieser Zeit bereits auf der Warteliste für eine Lungentransplantation, später dann wurde klar, dass auch mein Herz unwiderruflich geschädigt sei und nur noch eine kombinierte Herz-Lungentransplantation mich retten könne.

Die letzten zwei Jahre vor der Transplantation habe ich eigentlich nur noch in Stuttgart im Krankenhaus verbracht. Und meine Chancen schwanden.
Ich hatte oft Erstreckungsanfälle, es kam auch vor, dass meine Töchter nachts angerufen wurden, weil man befürchtete, ich würde die Nacht nicht überleben.

In dieser Zeit sind auch meine beiden ersten Enkelkinder zur Welt gekommen. Meine Tochter hat das zweite Baby zu mir ins Bett gelegt. Selber hätte ich es nicht mehr halten können.

Ich war mir sicher, dass ich es nicht mehr lange durchhalte. Ich wog noch 38 Kilo, bei einer Körpergröße von 1,67 Meter. Schließlich wollte ich entlassen werden, um wenigstens noch ein paar Tage zu Hause verbringen zu können. Schon in der ersten Nacht in meinem Haus ging es mir aber so schlecht, dass ich mehrfach den Hausarzt rufen musste. Er wollte mich zurück in die Klinik bringen. Aber ich habe um eine letzte Nacht zu Hause gebettelt.

In dieser Nacht, auf den 22. Februar 1994, kam der Anruf aus Berlin. Es gab Organe für mich.

„Das schaffst Du nicht mehr“, habe ich noch im Rettungswagen zum Flughafen gedacht. Aber ich habe es geschafft. Um 4:30 Uhr morgens lag ich im OP.

Erst fünf Tage nach dem Eingriff bin ich aufgewacht. Aber dann ging es aufwärts: Schon nach viereinhalb Wochen wurde ich in die Rehaklinik verlegt. Sicher, dort hatte ich noch mal ein großes Tief, körperlich wie seelisch. Durch die lange Liegezeit waren meine Muskeln ja völlig verkümmert und der Weg zurück ins Leben war schon sehr mühsam.
 Aber meine ältere Tochter war zu dieser Zeit schwanger und ich wollte unbedingt wieder zu Hause sein, wenn das Kind da ist. Und das ist mir gelungen!

Mein Chef hatte mich nie aufgegeben. Ich konnte noch nicht mal wieder richtig gehen, da war er da und wollte wissen, wann ich wieder bei ihm anfangen könne. Nur damit kein Missverständnis aufkommt: Das war kein Druck, sondern eine gewaltige Motivation für mich.  Um es kurz zu machen: Ich bin bis heute in seiner Firma berufstätig, wenn auch nur an zwei Tagen pro Woche. Nun lebe ich mehr als 25 Jahre mit den beiden Spenderorganen.
Sicherlich gab und gibt es Einschränkungen wie auch gesundheitliche Probleme. Aber im Großen und Ganzen geht es mir heute sehr gut. Ich konnte meine drei Enkelkinder erwachsen werden sehen, als Oma für Sie da sein und darf jetzt sogar auf Urenkel hoffen.

Was meine Kinder für mich getan haben, darf und werde ich nie vergessen. In einer Zeit, da ich für sie hätte da sein sollen, mussten und haben sie sich mit ganzer Kraft um mich gekümmert. Ohne diese Unterstützung, auch seelisch, hätte ich es nicht geschafft.

Ich hatte anfangs große Sorge, die Organe könnten mir irgendwie fremd sein. Aber das war nie der Fall. An jedem Jahrestag meiner Transplantation steht in meinem Haus eine Rose. Für einen unbekannten Menschen, der in seinem Tod mein Leben gerettet hat.

Keine drei Tage hätte ich mehr überlebt, meinte mein Hausarzt.
Mehr als 25 Jahre ist das nun her.
Danke.

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