04.01.2022

„Ich habe nach Luft gerungen“

Kevin ist stellvertretender Pflegeleiter unserer Intensivstation IPS 1 am DHZB. Er ist 30 Jahre alt, macht regelmäßig Kraftsport. Im Mai infiziert er sich mit dem Coronavirus. Nun hat er Long Covid. Hier ist seine Geschichte.

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Anfang Mai habe ich mich mit dem Coronavirus infiziert. Die erste Impfung hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon hinter mir.

Vier Tage lag ich richtig flach, geschmeckt und gerochen habe ich etwa acht Tage nichts mehr. Aber dann habe ich mich sehr schnell erholt und war wieder völlig wiederhergestellt.

Ich hatte es also unbeschadet überstanden – dachte ich.

Gute vier Wochen später war ich bei meinen Eltern in Naumburg zu Besuch. Schon am Morgen war ich etwas schlapp und kurzatmig. Zuerst habe ich nicht weiter darauf geachtet. Aber als wir später mit dem Hund rausgegangen sind, ging nach 50 Metern plötzlich nichts mehr. Ich bin in die Hocke runter und habe regelrecht nach Luft gerungen.

Meine Eltern waren entsprechend erschrocken und haben mich sofort zu einem Facharzt für Pulmologie und Kardiologie gebracht.

Mein Herz war in Ordnung. Den Umständen entsprechend war das noch die gute Nachricht. Denn die Leistung der Lunge war runter auf 60 Prozent. Ein schnelle, effektive Therapie würde es nicht geben, machte mir der Arzt klar, eine Reha sei notwendig und müsse beantragt werden. Für Notfälle bekam ich ein Cortison-Spray.

„Long Covid“ - was ich als Diagnose bisher eigentlich nur aus den Medien kannte, bestimmte jetzt mein Leben. Wer es nicht selbst erlebt hat, kann es sich kaum vorstellen. Es ist nicht nur Atemnot. Es ist eine allgemeine, andauernde Erschöpfung. Alles strengt an, Einkaufen gehen, den Haushalt machen, ja sogar Lesen oder Fernsehen. Meine Wohnung liegt im zweiten Stock. Zweimal bin ich im Treppenhaus zusammengebrochen.

Der Sommer war schlimm. Denn je wärmer es wurde, umso schlimmer wurden die Beschwerden. Ich habe mir eine Klimaanlage angeschafft, bin kaum noch aus dem Haus gegangen. Und wenn, dann nur Abends.

Natürlich habe ich mich anfangs oft gefragt, warum es ausgerechnet mich erwischt hat. Mit gerade mal dreißig; als kerngesunder Mensch, der regelmäßig Kraftsport gemacht hat. Aber dafür gibt es zumindest bis heute keine echte Erklärung. Deshalb habe ich gelernt, diesen Gedanken zu verdrängen.

Was blieb, war die Sorge, ob ich jemals wieder richtig gesund werde. Ich habe mich eingelesen in die verfügbare Fachliteratur, das gab mir Hoffnung. Denn die Studien zeigten, dass es eben lange dauert, dass sich aber in den meisten Fällen doch eine nachhaltige Besserung einstellt.

Vor allem haben mir meine Freundinnen, Freunde und Eltern emotional durch diese schwere Zeit geholfen. Dafür bin ich sehr dankbar. Denn ohne diesen Rückhalt, ohne die vielen Gespräche wäre ich sicher in ein viel tieferes Loch gefallen.

Mit dem Herbst und den kühleren Temperaturen besserte sich mein Zustand etwas. Aber an eine Rückkehr in den Job als Intensivpfleger am DHZB war nicht zu denken. So sehr ich auch gewollt hätte nach den Monaten der Untätigkeit.

Ende Oktober wurde meine Reha bewilligt. Seit Anfang Dezember bin ich jetzt in einer Klinik an der Ostsee. Und es geht aufwärts! Ausdauer, Beweglichkeit, Konzentrationsfähigkeit – hier fängt man in vieler Hinsicht von vorne an. Selbst das Atmen lernt man nochmal neu.

In der Klinik sehe ich täglich, dass es mir noch relativ gut geht. Viele andere Patient*innen sind in viel schlechterem Zustand als ich hierhergekommen, brauchen Sauerstoff, sind abgemagert, erholen sich nur langsam. Und das sind nicht nur hochbetagte Menschen. Ich sehe hier auch Vierzigjährige mit Rollator. Das ist erschreckend.

Ich bin zuversichtlich, dass ich im Januar wieder arbeiten kann, wenn auch voraussichtlich noch nicht in Vollzeit. Ich vermisse meinen Job, auf den ich sehr stolz bin – und ich kann es eigentlich kaum erwarten, wieder für mein tolles Team und meine Patient*innen da sein zu können. Aber ich habe auch gelernt, mich in Geduld zu üben – was vorher nicht unbedingt meine Stärke war.

Long Covid kann jede und jeden erwischen. Long Covid ist keine vorübergehende Phase der Schlappheit und auch keine Einbildung. Eine vollständige Impfung schützt. Das sollten alle wissen. Dazu möchte ich beitragen. Deshalb erzähle ich meine Geschichte öffentlich.

Ich wünsche Euch allen einen guten Start in ein glückliches, erfolgreiches und gesundes neues Jahr!

Kevin stammt aus Naumburg in Sachsen-Anhalt. Seine Ausbildung zum Gesundheits- & Krankenpfleger absolvierte in Eisenberg/Thüringen und startete dann am Uniklinikum Jena. 2018 schloss er dort die Weiterbildungen zum Fachkrankenpfleger für Anästhesie- & Intensivpflege und zum Praxisanleiter ab, wurde Teamleiter Intensivstation.

Im Oktober 2019 wechselte Kevin ans DHZB: „Ich wollte Berlin kennenlernen und suchte eine neue Herausforderung – die hochspezialisierte Intensivmedizin am DHZB war da genau das richtige“, sagt er.

Wir danken Kevin, dass er uns seine Geschichte erzählt hat – und wünschen ihm eine schnelle und vollständige Genesung!

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