31.08.2018

Alles Gute, Timur!

Eine unheilbare Herzkrankheit, ein Umzug nach Deutschland, ein doppeltes Kunstherz und schließlich eine Transplantation: Mehrfach haben Timurs Eltern kaum noch Hoffnung für ihren Sohn gehabt. Heute wurde Timur aus dem DHZB entlassen.

Nur ein kleiner Teil des DHZB-Teams, das um Timurs Leben gekämpft hat: Assistenzärztin Dr. Lisa Rosenthal, Schwestern Nadine Krüger und Ines Spangenberg, Vater Alexander, Mama Liudmila, Pfleger Ingo Hüttner, Professor Joachim Photiadis (Direktor Kinderherzchirurgie), Oberarzt Dr. Peter Murin, Fachärztin Betiel Kidane, Assistenzarzt Philipp Jewgenow, Schwester Isabel Jasser

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Barnaul in West-Sibirien, rund 200 Kilometer südlich von Nowosibirsk: hier kommt Timur Lamm am 6. September 2009 zur Welt. Die Diagnose bekommen seine Eltern Liudmila und Alexander schon ziemlich bald: Timur leidet an einer angeborenen „dilatativen Kardiomyopathie“, einer unheilbaren Vergrößerung und Erschlaffung des Herzmuskels. Eine angemessene Behandlung ist in Barnaul kaum möglich. 

Liudmila (Grundschullehrerin) und Alexander (Polizist) erreichen, dass Timur mehrfach im fernen Moskau behandelt wird. Doch bald wird klar, dass langfristig nur eine Herztransplantation helfen wird. Und die ist in Russland bei Kindern kaum möglich. 

Timurs Vater Alexander Lamm ist deutscher Abstammung. Er hat die Möglichkeit, relativ einfach die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen. Und er nutzt diese Chance – für sein todkrankes Kind. Im Herbst 2016 kommt Familie Lamm nach Berlin. 

Alexander und Liudmila müssen nun ohne deutsche Sprachkenntnisse, ohne Verwandte und Freunde ein neues Leben beginnen, mit allen bürokratischen Hürden.

Alles gelingt ihnen irgendwie. Nur ihrem Sohn können sie aus eigener Kraft nicht helfen. Timur wird an der Charité behandelt. Die Ärzte bieten alle Möglichkeiten moderner Medizin auf. Doch bald steht fest: eine baldige Herztransplantation ist unausweichlich. Timur wird ins DHZB verlegt.

Damit er die Wartezeit auf ein Spenderorgan überleben kann, müssen ihm die Ärzte zunächst eine künstliche Kreislaufpumpe einsetzen, die die Pumpfunktion des kranken Herzens übernimmt. 

Die Spezialisten am DHZB entscheiden sich nach sorgfältiger Abwägung aller Faktoren gemeinsam mit den Eltern für ein System, das sonst eher bei Erwachsenen verwendet wird. Denn das übliche System für Kinder liegt außerhalb des Körpers, die kleinen Patienten müssen damit dauerhaft im Krankenhaus leben – manchmal weit über ein Jahr lang. 

Das andere System dagegen wird direkt an der linken Herzkammer eingesetzt, nur Batterie und Steuereinheit müssen außerhalb des Körpers getragen werden. Die Patienten haben damit die Möglichkeit, zu Hause auf eine Transplantation zu warten. 

Die Implantation gelingt. Timur geht es dennoch immer schlechter. Seine Eltern hoffen das Beste, aber es ist ihnen auch klar,  dass ihr Junge es nicht mehr schaffen könnte. „In den Gesichtern der Ärzte konnte ich manchmal lesen, wie schlecht es um Timur steht“, erzählt Liudmila: „Aber gleichzeitig wusste ich auch, dass diese Menschen den Kampf nie aufgeben würden.“ 

Auch an der rechten Herzkammer muss Timur schließlich eine künstliche Kreislaufpumpe eingesetzt werden. „Nach unserem Wissensstand war Timur erst das elfte Kind weltweit mit einem ‚doppelten Kunstherz‘ dieses Typs“, schildert Kinderkardiologe Dr. Oliver Miera, Oberarzt am DHZB: „Wir konnten der Familie zwar einen viele Monate langen Daueraufenthalt in der Klinik ersparen – aber wir wussten auch, dass wir Timur medizinisch extrem genau im Auge behalten müssen.“

In die Schule wollen die Eltern ihren Sohn noch nicht schicken, es erscheint ihnen zu riskant. Aber immerhin: Timur kann zuhause leben, bei seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester Sofia. Und die Lehrer unterrichten ihn zu Hause. So vergehen Winter und Frühling. Ohne dass es ein Spenderherz für Timur gibt. 

Am Abend des 7. Juli verliert WM-Gastgeber Russland gegen Kroatien 4:3. Liudmila und Alexander fühlen sich in Berlin zwar schon heimisch, sind aber dennoch enttäuscht. Doch diese kleine Trauer währt nicht lange. Denn gegen 11 Uhr klingelt das Telefon: Das DHZB meldet ein Spenderorgan. 

In den frühen Morgenstunden beginnt das OP-Team um Professor Joachim Photiadis, Chefarzt der DHZB-Kinderherzchirurgie, Oberarzt Dr. Peter Murin und Assistenzärztin Dr. Olga Romanchenko mit dem Eingriff. Die Chirurgen müssen wegen der vielen Vor-Operationen bei Timur äußerst behutsam vorgehen. Erst nach 13 Stunden werden die Eltern erlöst: Der Eingriff ist gut verlaufen.  

Timurs durch die lange Krankheit völlig geschwächter Organismus braucht eine Weile, bis er sich von den Strapazen der Operation erholt. Doch dann geht es aufwärts. Bis die Ärzte schließlich grünes Licht geben: Timur darf wieder nach Hause. Nächste Woche feiert er seinen Geburtstag. Zu Hause. Und ohne Kunstherz. 

Alexander Lamm ist erfahrener Polizist, er wirkt stets ruhig und sehr beherrscht. Doch bei den letzten Worten unseres Gesprächs zittert seine Stimme dann doch ein wenig: Ich schulde allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Klinik unendlichen Dank“, sagt er: „Und ich werde nie vergessen, wie uns dieses Land aufgenommen und meinem Kind damit das Leben gerettet hat.“

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