05.01.2017

"Wir wollen Mut machen"

Die Überlebenschancen von Säugling Julian waren zeitweise minimal. Doch seine Eltern und die Mediziner gaben den Kampf um sein Leben nie auf. Jetzt ist Julian wieder zuhause.

Erfolgreiche Teamarbeit (v.l.): Kinderherzchirurg Dr. Michele Musci, Dr. Katharina Schmitt (Leitung Kinderstation H4) Prof. Joachim Photiadis, Chefarzt Kinderherzchirurgie, Familie Lippert, Dr. Oliver Miera (Leitung Kinderintensivstation) und Prof. Felix Berger, Chefarzt Kinderkardiologie

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Als Julian am 19. Juni 2015 zur Welt kommt, freuen sich seine Eltern Carolin und Thomas Lippert noch über die „Punktlandung“: Julian wird auf den Tag genau am Ende der 40 Schwangerschaftswoche geboren. Er scheint völlig gesund zu sein, das ebenso anstrengende wie glückliche Leben einer jungen Familie kann beginnen. 


Doch zwei Monate später wird Julian plötzlich lethargisch und trinkt kaum noch. Der Kinderarzt beruhigt die Eltern, das könne vorkommen und gebe sich wieder. Doch Julians Zustand verschlechtert sich weiter. Jetzt überweist der Kinderarzt Julian ins Krankenhaus. Auch hier sind die Ärzte zunächst ratlos. „Eine Ultraschall-Untersuchung hat dann gezeigt, dass mit Julians Herz etwas nicht stimmt“, erinnert sich Carolin Lippert, „aber genaueres konnte uns niemand sagen“. Julian wird ins Virchow-Klinikum der Charité verlegt, wo die Eltern endlich Klarheit bekommen: Julian leidet an einem ebenso seltenen wie bedrohlichen angeborenen Herzfehler.


Vereinfacht gesagt, pumpt sein Herz wegen fehlentwickelter Gefäße einen Teil des sauerstoffreichen Blutes statt in den Körper zurück in die Lunge. Zwei Monate lang konnte der Organismus diese Fehlentwicklung offenbar verkraften.

Doch jetzt geht alles sehr schnell. Schon in der 1. Nacht bricht Julians Kreislauf zusammen. Er muss wiederbelebt werden und wird noch am gleichen Tag in den OP des Deutschen Herzzentrums Berlin (DHZB) gebracht. In einer fünfeinhalbstündigen Notoperation gelingt es dem Leiter der DHZB-Kinderherzchirurgie, Prof. Joachim Photiadis und seinem Team, die Fehlbildungen in Julians Herzen zu korrigieren. Doch der Zustand bleibt kritisch: Julians Lunge arbeitet nicht mehr, er muss an eine Maschine angeschlossen werden, die die Atemfunktion übernimmt. 


Wie für viele andere Eltern von Kindern mit schweren angeborenen Herzfehlern beginnt für Carolin und Thomas Lippert nun ein Leben, auf das sie niemand vorbereitet hat. Die Arbeit, der Haushalt, kurz- wie langfristige Planungen: Nichts ist mehr wie noch wenige Tage zuvor. „Man lebt von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde“, sagt Carolin Lippert. 


Tagsüber weichen die Eltern ihrem Kind nicht mehr von der Seite. Sie lesen Julian Märchen vor und singen für ihn, sie streicheln ihn und sagen ihm immer wieder, wie sehr sie ihn lieben. 


Nachts müssen sie die Intensivstation verlassen, doch alle paar Stunden rufen sie im DHZB an und erkundigen sich. „Ich war für die Ärzte und Pflegekräfte sicher sehr anstrengend“, gibt Carolin Lippert heute zu, „aber das hat mich nie jemand spüren lassen“. 


Doch die Eltern lernen auch, den Medizinern zu vertrauen. „Wir haben eine pauschale Einwilligung für alle notwendigen Schritte erteilt“, sagt Thomas Lippert, „die Aufklärung für jede einzelne Maßnahme macht dich irgendwann verrückt“.


Denn immer wieder kommt es in den nächsten Wochen zu lebensbedrohlichen Komplikationen. Immer wieder muss Julian operiert werden. Seine Überlebenschance sei ihnen zeitweise mit unter fünf Prozent beziffert worden, erzählen die Eltern.


Mehr als fünf Wochen dauert der Kampf um Julians Leben. Für die Eltern gibt es in dieser Zeit kleine Etappensiege: Der Tag, an dem die „künstliche Lunge“ wieder entfernt werden kann, der Moment, als sie ihr Baby trotz Kabel und Schläuche wieder in den Arm nehmen dürfen. Und die Verlegung auf die kinderkardiologische Normalstation im Virchow-Klinikum, wo die Eltern nun endlich auch bei Julian schlafen können. 

Das Ende der intensivmedizinischen Phase bedeutet für den Patienten und seine Eltern noch einmal eine extrem harte Zeit: Denn Julians Organismus muss den Entzug der vielen Medikamente verkraften, die ihm über so lange Zeit seine Schmerzen genommen haben. 


Am 1. Dezember 2015 wird Julian in die Reha-Klinik verlegt. Hier beginnt Familie Lippert ihr Leben noch einmal von vorn: "Dreimal täglich intensive Therapiearbeit mit den Fachleuten, 24-Stunden-Betreuung, nachts alle 2-3 Stunden aufstehen und Julian sondieren und ihn umlagern. Julian war nie alleine. Es war immer mindestens einer von uns bei ihm."


Nach 137 Tagen in der Reha wird Julian nach Hause entlassen. Seine Eltern sind sich bewusst, dass er in seiner Entwicklung um Monate zurückliegt, dass seine Sehfähigkeit durch den Sauerstoffmangel gelitten hat, dass seine Lungen noch immer schwach sind. Aber sie sehen auch, welche Fortschritte er gemacht hat, wie lebendig er ist, wie er lacht und schreit, wie er trinkt, krabbelt und sich mit jedem Tag ein Stückchen weiter zurück kämpft ins Leben. 


Julians Eltern haben dem Deutschen Herzzentrum Berlin einen hohen Geldbetrag gespendet. Er kommt einem Forschungsprojekt zugute, mit dem Dr. Katharina Schmitt, Oberärztin der Klinik für Angeborene Herzfehler und ihr Team besser verstehen lernen wollen, welche Faktoren die Entwicklung von Kindern mit angeborenen Herzfehlern beeinflussen. Damit wollen die Mediziner die Grundlage zur Entwicklung noch besserer medizinischer und entwicklungspsychologischer Therapien schaffen.


„Wir spenden das Geld und wir machen unsere Geschichte öffentlich, weil wir anderen Eltern Mut machen wollen, sagt Thomas Lippert, „weil wir zeigen wollen, dass Wunder geschehen können, wenn nur alle gemeinsam daran glauben: Der Patient, die Eltern, Freunde, Familie, Ärzte und Pflegepersonal. Es ist eine Gemeinschaftsleistung. Nur so geht es. Unser Dank gilt allen, die mit uns gekämpft haben!“

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