15.09.2022

Raus aus dem Korsett - Unsere Reihe "Frauen in der Herzmedizin" startet

Wir nehmen den 152. Jahrestag der Geburt von Professorin Rahel Hirsch zum Anlass, um in den kommenden Tagen und Wochen Ärzt*innen aus der Charité-Herzmedizin und dem DHZB vorzustellen.

Heute vor 152 Jahren wurde Rahel Hirsch geboren, die 1913 an der Charité zur ersten Medizin-Professorin Deutschlands ernannt wurde.

Wie man sich vorstellen kann, war der Weg bis zu dieser Auszeichnung weit. Geboren 1870 in Frankfurt am Main, als sechstes von elf Kindern wurde Rahel Hirsch zunächst Lehrerin und unterrichtete wie ihr Vater an der Real- und Höheren Töchterschule der Israelitischen Religionsgesellschaft.

Rahel Hirsch aber wollte unbedingt Ärztin werden. Weil Frauen der Zugang zum Medizinstudium in Deutschland aber noch verwehrt blieb, immatrikulierte sie sich 1898 an der Universität Zürich und wechselte zum Wintersemester 1900/1901 nach Straßburg (das von 1871 bis 1918 zum Reichsland Elsaß-Lothringen gehörte), wo sie im Juli 1903 ihr Staatsexamen ablegte, kurz darauf ihre Approbation erhielt und schließlich – als eine von insgesamt neun Frauen im gesamten Deutschen Reich – promovierte.

Der Internist und Pathologe Friedrich Kraus holte Rahel Hirsch an die Charité, laut Wikipedia als zweite Ärztin überhaupt in der Geschichte der Klinik. Rahel Hirsch forschte zu unterschiedlichen Themen der Inneren Medizin und publizierte regelmäßig. Der von ihr beschriebene Effekt des Übergangs von „großkorpuskulären“ Nahrungspartikeln, also z. B. Stärkekörnern, vom Darmtrakt in den Harntrakt ist bis heute als „Hirsch-Effekt“ benannt.

Trotz des Spottes, den sie erdulden musste – kolportiert wurde der Kommentar: „Der ist doch der Puderquast in den Nachttopf gefallen“ – mussten auch die Kollegen anerkennen, dass sie eine herausragende Wissenschaftlerin war.

1908 übernahm Rahel Hirsch die Leitung der Poliklinik der II. Medizinischen Klinik der Charité, 1913 wurde sie zur Professorin ernannt. Die Lehrbefugnis oder ein Lehrstuhl waren damit allerdings nicht verbunden, ebenso wenig eine finanzielle Besserstellung.

„In der deutschen Residenz, in welcher ein Professor der Universität grundsätzlich Studentinnen den Zutritt zu seinen Vorlesungen versagt, ist nun eine Dame, Frl. Rahel Hirsch, zum Professor an der medizinischen Fakultät ernannt worden. Allen Respekt vor unserem Landsmann, Herrn Geheimrat Prof. Kraus, dem Chef der Klinik, an welcher das Frl. Hirsch wissenschaftlich und praktisch tätig ist, dass derselbe vorurteilslos den betreffenden Vorschlag erstattete.“ – so ist es in einem Bericht der „Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht“ zu lesen.

Rahel Hirsch war zwar keine politische Kämpferin für die Frauenrechte. Doch sie setzte sich stark für mehr körperliche Ertüchtigung von Mädchen ein – und für die Abschaffung des Korsetts.

1919 schied Rahel Hirsch aus der Charité aus und eröffnete im Westen Berlins eine eigene Praxis, mit großem Erfolg. Ein Jahr nach Beginn der NS-Diktatur wurde Rahel Hirsch als Jüdin die Kassenzulassung entzogen. Trotz der zunehmenden Entrechtung, Demütigung und Verfolgung der jüdischen Ärztinnen und Ärzte blieb sie zunächst in Berlin und kümmerte sich weiterhin um ihre Patient*innen.

Erst im Oktober 1938, kurz nachdem allen jüdischen Ärztinnen und Ärzten auch die Approbation entzogen worden war, emigrierte Rahel Hirsch zu einer Schwester nach England. Ihren Beruf konnte sie dort nicht mehr ausüben, sie hielt sich als Laborassistentin und Übersetzerin finanziell über Wasser.

Die Geschichte der ersten Medizin-Professorin Deutschlands hat leider ein trauriges Ende: Wegen Depressionen und Verfolgungsängsten verbrachte Rahel Hirsch ihre letzten Lebensjahre in einer Nervenheilanstalt. Die Pionierin für die Rechte der Frauen in der deutschen Medizin starb im Alter von 83 Jahren in London.

Professorin Hirsch war keine Herzmedizinerin. Dennoch wollen wir den heutigen Jahrestag ihrer Geburt zum Anlass nehmen, Euch und Ihnen in den kommenden Tagen und Wochen Ärzt*innen aus der Charité-Herzmedizin und aus dem DHZB vorzustellen, Kolleg*innen am künftigen Deutschen Herzzentrum der Charité also: Ihren Werdegang, die Schwerpunkte ihrer Arbeit und ihre ganz persönliche Sicht darauf, was sich für Frauen in der (Herz-)Medizin seit den Tagen Rahel Hirschs geändert hat – oder eben nicht.

Wir danken allen Teilnehmerinnen für Ihre Unterstützung!

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