13.02.2020

Pflegenotstand in der Kinderherzmedizin

Der Pflegenotstand in der Berliner Kinder-Intensivmedizin ist derzeit Gegenstand vieler Berichte. Hier eine Zusammenfassung der Ursachen, Auswirkungen und notwendigen Maßnahmen – aus Sicht des DHZB.

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1. Wie wirkt sich der Mangel an Pflegekräften in den Abteilungen für Angeborene Herzfehler / Kinderherzmedizin aus?

Wir bieten am DHZB das gesamte Behandlungsspektrum für angeborene und erworbene Herzkrankheiten an, bis hin zu höchstkomplizierten Fällen, die bundesweit an nur sehr wenigen anderen Zentren durchgeführt werden können, im Einzelfall sogar nur am DHZB.

Im Verhältnis von erwarteter zu tatsächlicher Sterblichkeit bei diesen hochkomplizierten Eingriffen nimmt die Kinderherzchirurgie am DHZB weltweit eine Spitzenposition ein. Über die gesetzlichen Vorschriften hinaus lassen wir die Qualität jeder OP von unabhängigen Experten prüfen. Die damit belegte Sterblichkeit nach Kinderherzoperationen am DHZB ist, in Abhängigkeit gesetzt zur Fallschwere, ist die niedrigste in Europa.

Diese höchste Behandlungsqualität können wir nur garantieren, indem wir das Verhältnis von Pflegekräften pro Patienten nicht ändern. Deshalb können wir aufgrund des Mangels an qualifiziertem Pflegepersonal derzeit nur 8 von 12 Betten unserer Intensivstation für Angeborene Herzfehler betreiben. Auch auf unserer Intermediärstation können wir nicht die mögliche Bettenkapazität von 24 Betten betreiben.

Dies führt dazu, dass die Wartezeit für elektive Eingriffe mehrere Wochen oder Monate betragen kann. Elektive Eingriffe sind Operationen, die nicht sofort notwendig sind und gemäß ihrer Dringlichkeit zeitlich eingeplant werden.

Diese Einstufung wird von der Klinikleitung in jedem einzelnen Fall nach sorgfältigster Diagnose und Risiko-Abwägung vorgenommen, basierend auf Fachkenntnissen und langjähriger Erfahrung.   

Entsprechend wird von der Klinikleitung eine Liste gepflegt, die täglich entsprechend eintreffender Notfälle und je nach aktuellem Zustand der wartenden Patienten aktualisiert wird. Wenn nötig, werden Operationstermine vorgezogen. In diesen Fällen müssen weniger dringliche Eingriffe leider verschoben werden. Wir sind uns bewusst, welche Sorgen und Mühe für die Eltern damit oft verbunden sind und bedauern das zutiefst.  

Bislang können wir unsere messbar hohe Behandlungsqualität trotz der angespannten Personalsituation halten oder sogar noch verbessern: indem wir die vorhandenen Kapazitäten möglichst effizient nutzen und dank eines hochmotivierten und erfahrenen Pflege- und Ärztepersonals.

2. Wo liegen die Ursachen für diesen Mangel?

Ein wichtiger Grund für den überregionalen Personalmangel liegt in den 2006 bzw. 2017 in Kraft getretenen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zur Versorgung Neugeborener.

Hier wurden der Pflegeschlüssel bzw. die Qualifikationsanforderungen für Pflegende auf Früh- bzw. Neugeborenstationen und damit der Bedarf an Pflegenden mit Zusatzqualifikation für pädiatrische Intensivpflege erheblich erhöht, ohne dass notwendige Anpassungen an die Ausbildungskapazitäten vorgenommen wurden.

So kam und kommt es zur Abwerbung des Fachpersonals im Kinderintensivbereich. Dabei wird die Arbeit in der Kinderherzintensivmedizin aufgrund der Schwere der Herzerkrankungen oft als belastender empfunden als die Pflege in der Neonatologie. Bei gleicher Bezahlung entscheiden sich daher viele Kinderintensivpflegende für die Versorgung von Neugeborenen.

3. Was kann, was muss gegen diesen Personalmangel getan werden?

Die Kinderpflege, insbesondere im Intensivbereich erfordert ein hohes Maß an spezialisiertem Wissen und spezialisierten Fähigkeiten. Bislang wurde dem mit einem eigenen Berufsausbildungsgang zur / zum Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger mit entsprechender Zusatzausbildung in der Intensivmedizin Rechnung getragen.

Die jetzt in Kraft getretene Reform des Pflegeberufegesetzes sieht jedoch eine generalistisch ausgerichtete Ausbildung zur Pflegefachfrau/ zum Pflegefachmann und damit eine Reduzierung der Spezialisierung vor – zugunsten besserer Wechselmöglichkeiten der Pflegenden, auch innerhalb Europas.

Vorgesehen ist als Teil der neuen generalistischen Pflegeausbildung lediglich eine sechswöchige praktischen Vertiefung „Kinderpflege“. Damit können die Pflegenden keinesfalls Kinderherzpatienten ohne Aufsicht betreuen.

Wenn die Spezialisierung aber nicht mehr Teil der Pflegeausbildung ist, muss sie im Anschluss in den Krankenhäusern erfolgen. Diese Kosten werden den Kliniken derzeit im gDRG-System nicht vergütet. Auch ist eine Vergütung entsprechend spezialisierten Personals, wie z.B. Pflegedozenten, durch das Pflegepersonalstärkungsgesetz (PPSG) nicht vorgesehen, da dieses Personal nicht am Bett arbeitet. Hier besteht eine gravierende Finanzierungslücke, die durch Nachbesserung des DRG-Entgeltsystems oder des PPSG geschlossen werden muss.

Generelle Aufwertung des Pflegeberufs

Der Pflegeberuf, insbesondere in einem Bereich mit so hoher Verantwortung wie einer Kinderintensivstation, muss generell aufgewertet werden. Hierfür müssen die politischen Rahmenbedingungen geändert werden. Insbesondere:

-    müssen die Befugnisse der Pflegenden internationalen Standards angepasst werden
-    müssen ausreichend Krankenpflegeschulen Nachwuchs ausbilden

Reduzierung der Klinikdichte in Deutschland und Zentrumsbildung

Die – auch im internationalen Vergleich – viel zu hohe Krankenhausdichte und damit Bettenanzahl in Deutschland muss gezielt reduziert und auf spezialisierte Behandlungszentren verdichtet werden. Damit würden auch wieder deutlich mehr qualifizierte Pflegende pro Patientenbett zur Verfügung stehen.

Andere Nachbarländer wie etwa Dänemark und die Niederlande sind diesen Weg bereits gegangen. Im Ergebnis stehen dort wesentlich weniger Klinikbetten pro Einwohner zur Verfügung – mit mindestens gleichwertiger Behandlungsqualität.

4. Was tun wir am DHZB?

Eigene spezialisierte Ausbildung

Wir bieten in diesem Jahr an der DHZB-Pflegeschule erstmalig eine Ausbildung mit dem Schwerpunkt Kinderkrankenpflege an. Die Auszubildenden  werden dabei schon während der Ausbildung deutlich mehr im Kinderbereich eingesetzt und dort auch mit berufspraktischem Unterricht unterstützt. Die Bewerbungsgespräche laufen. Angesichts von bisher vier gegenseitigen festen Zusagen rechnen wir mit mindestens zehn jungen Menschen, die im August starten werden.

Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland

Wir haben Kinderkrankenpflegekräfte aus dem Ausland angeworben, die bereits in ihren Heimatländern eine nachweislich vergleichbar gute Ausbildung absolviert haben. Diese neuen Kolleginnen und Kollegen im DHZB-Team werden dennoch rund 4 Monate lang theoretisch, praktisch und sprachlich trainiert und anschließend einer vorgeschriebenen Kenntnisstands-Prüfung unterzogen. Schon bei der Auswahl der potentiellen Kollegen haben wir darauf geachtet, dass die Kollegen in ihren Wunsch- Fachbereichen eingesetzt werden können.

Eine lückenhafte „Crashkurs“-Ausbildung ausländischer Pflegekräfte, nur um den Pflegenotstand schnellstmöglich zu mindern, wird es am Deutschen Herzzentrum nicht geben.

Im DHZB geben wir uns nicht mit der Mindestanforderung des sprachlichen Niveaus zufrieden, unsere Kollegen aus dem Ausland werden von uns auch nach Anerkennung Ihres Examens weiter sprachlich gefördert.

Ausbildungs- und Einarbeitungskonzepte

Um das komplexe Themengebiet der Pflege von Patienten mit Kinderherzerkrankungen zu erlernen, werden neue Kolleginnen und Kollegen mehrere Monate lang in einem Verhältnis von 1:1 eingearbeitet. Wo es überwiegend um das Leben von Säuglingen und Kleinkindern geht, ist uns eine qualitativ hochwertige Einarbeitung  wichtiger als die schnelle Besetzung offener Stellen.

Aufgrund dieser individuellen und modularisierten Einarbeitung können auch immer mehr Pflegekräfte aus dem Erwachsenenbereich auch im Kinderbereich eingearbeitet werden.

Öffentlichkeitsarbeit

Die fachlich anspruchsvolle Tätigkeit und der Stolz unseres Teams der Kinderintensivstation, die enge und hierarchie-freie Zusammenarbeit mit den Ärztinnen und Ärzten, aber auch das Teamwork mit den Eltern und deren oft überwältigende Dankbarkeit – das alles übt auf viele Auszubildende oder Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen zu Recht eine große Faszination aus.

Gleichzeitig fühlen sich viele Interessenten von den hohen Anforderungen abgeschreckt. Dem wirken wir mit detaillierten und strukturierten Ausbildungs- und Einarbeitungskonzepten entgegen, sowie einer entsprechenden Öffentlichkeitsarbeit, die den Stolz auf diese Tätigkeit und die Freude daran ehrlich vermittelt.

Wir wollen in der DHZB-Pflege kontinuierlich weiter an einer Kultur der gegenseitigen Wertschätzung aller Berufsgruppen, an einer möglichst flachen Hierarchie und einer unkomplizierten und ehrlichen Ansprache der Leitungsebene arbeiten.

Alle diese Maßnahmen zeigen Wirkung. Wir rechnen damit, dass wir die Zahl der unbesetzten Stellen im Bereich der Kinder(intensiv-)Pflege bereits bis zum Sommer von 18,5 auf 10 senken können.

 

 

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